Rahels erster Traum
Ich befand mich immer in einem vornehmen bewohnten Palast, vor dessen Fenstern gleich ein großartiger Garten begann; eine mäßige Terrasse vor dem Gebäude, und dann gleich große Linden und Kastanienbäume auf einem beinah unregelmäßigen Platze, der zu Gängen, Teichen, Laubgängen und dem Gewöhnlichen in solchen Gärten führte. Die Zimmer des Gebäudes waren immer erhellt, offen, und die Bewegung einer großen Aufwartung darin; so sah ich immer eine ganze Reihe geöffnet vor mir da; in deren letztem eigentlich die Gesellschaft der vornehmsten Personen war, wovon ich mir jedoch keinen Einzelnen denken konnte, obgleich ich sie alle kannte, zu ihnen gehörte, und zu ihnen hin sollte. Dies aber, ungeachtet die Türen offen waren, und ich wohl ihre Rücken, an einem großen Spieltische – wie in einer Bank – sah, konnte nie geschehen. Mich hinderte ein Unvermögen, eine Lähmung, die in der Luft der Zimmer und in der Erhellung zu liegen schien; ich dachte mir diese Hemmung nie im Ganzen, und glaubte nur jedes Mal von andern Zufälligkeiten gehindert zu sein; und gedachte auch jedesmal zu meiner Gesellschaft zu kommen. Jedes Mal aber, wenn ich noch sechs bis acht Zimmer von ihr entfernt war, stellte sich ein Thier in dem Zimmer ein, wo ich war, welchem ich keinen Namen geben konnte, weil seines Gleichen nicht in der Welt war; von der Größe eines dünneren Schafes, als Schafe gewöhnlich sind; rein und weiß wie unbetasteter Schnee; halb Schaf, halb Ziege, mit einer Art von Angola-Haaren; bei der Schnauze rötlich wie der reinlichste, reizendste Marmor, Aurorfarbe, die Pfoten ebenso. Dieses Tier war mein Bekannter; ich wusste nicht, woher: es liebte mich unendlich; und wusste es mir zu sagen, und zu zeigen: ich musste es behandeln wie einen Menschen. Es drückte mir mit seinen Pfoten die Hände, und das ging mir jedes Mal bis ins Herz; es sah mich so voll Liebe an, wie ich mich nicht erinnere eine größere in eines Menschen Augen gesehen zu haben; am gewöhnlichsten nahm es mich bei der Hand, und da ich immer zur Gesellschaft wollte, so durchschritten wir die Zimmer, ohne jemals hinzukommen; das Tier suchte mich zärtlich, und als hätte es wichtige Ursachen, davon abzuhalten; weil ich aber hinwollte, so ging es in Liebe gezwungen immer mit. (…) Die Bedienten merkten gar nicht auf uns, obgleich sie uns sahen.; ich nannte diesen liebenden Liebling mein Tier; und wenn ich eher da war. So fragte ich nach ihm: denn es übte auch auf mich eine große Gewalt aus, und ich erinnere mich nicht in meinem ganzen Leben wachend eine so den Sinnen nach starke Empfindung gefühlt zu haben, als mir der bloße Händedruck dieses Tieres machte. Dies aber war es nicht allein, was meine Anhänglichkeit ausmachte; sondern ein herzüberströmendes Mitleid; und dass ich ganz allein wusste, dass das Tier lieben, sprechen konnte, und eine menschliche Seele hatte. (…) Es kam aber, dass ich lange diesen Traum nicht gehabt hatte; und als er mir das erste Mal wieder träumte, so war alles da, das Schloss, die Zimmer, die Bedienten, der Garten, die Gesellschaft; ich wollte auch wieder hin; nur war etwas mehr Bewegung, und eine Art Unruh in den Zimmern, ohne sonstige Störung oder Unordnung; ich sah mein Thier auch nicht; welches, wie mir dünkte, mir schon sehr oft gefehlt hatte, eine lange Zeit her; ohne mich besonders zu kränken noch zu befremden, obgleich ich mit den Dienern des Hauses davon gesprochen hatte. Weil die unruhige Bewegung mich noch mehr störte, als die gewöhnliche Gewalt, die mich vom letzten Zimmer abhielt, so trat ich de plain pied aus großen Glasfenstern auf die Terrasse, die sich bald in den Platz mit Bäumen ohne weitere Grenze verlor; dort waren zwischen den alten Bäumen hin und her helle Laternen auf großen Pfählen angezündet; ich betrachtete müßig die erleuchteten Fenster des Schlosses und das prächtig beschienene große Laub der Bäume: die Diener liefen häufiger und mehr als sonst hin und wieder; sie beachteten mich nicht, ich sie nicht. Mit einemmale sehe ich dicht an einem großen Baumstamm, halb auf seiner starken Wurzel, mein Tier zusammengekrümmt, mit verstecktem Kopf, auf dem Bauch schlafend liegen: es war ganz schwarz mit borstigem Haar: Mein Tier! schrei ich, mein Tier ist wieder da; zu den Bedienten, die mit Geräten in den Händen und Servietten über den Schultern, in ihren Gängen bloß gehemmt, aber nicht ganz nahe tretend, stehen bleiben. Es schläft, sag' ich; und tippe es mit der Fußspitze an, um es ein wenig zu rütteln: in demselben Augenblick schlägt es aber über sich um, fällt auseinander, und liegt platt da als Fell; die raue Seite auf der Erde, trocken und rein. Es ist ein Fell, es war also tot! rufe ich! Der Traum schwindet: und nie habe ich wieder von dem schwarzen noch dem weißen Tier geträumt.